Der Tomatenflüsterer von Mondsee

Kaum einer weiß, welch’ fruchtiges Paradies sich unweit der Hilfbergkirche befindet. Denn gleich neben besagtem Sakralbau hat sich Thomas Seidl mit Hilfe seiner Frau Dagmar eine riesige Sammlung an Tomaten aufgebaut, die wirklich seinesgleichen sucht. Unfassbare 150 verschiedene Sorten sind es mittlerweile und jede einzelne Pflanze betreut Thomas mit hingebungsvoller Zuwendung, dass die charmante Bezeichnung „Der Tomatenflüsterer“ zutreffender nicht sein könnte. Kaum zu glauben, dass diese Leidenschaft online auf ebay.at begann.

tomatenfluesterer tomatenML24: Thomas, 150 verschiedene Tomatensorten - allein die Zahl lässt einen schon staunen. Wie und wo fand deine riesige Sammlung ihren Ursprung?

Thomas Seidl: 150 Sorten baue ich heuer an, meine Sammlung umfasst aber schon über 600 verschiedene Tomaten aus 90 Ländern, von Australien bis Venezuela. Meine ersten Sorten habe ich auf Ebay gekauft, mittlerweile tausche ich mit Tomatenfreunden in der halben Welt und vergrößere dadurch weiter meine Sammlung.

ML24: Weißt du noch, welche Sorte damals die allererste war?

Thomas: Die ersten Tomaten habe ich noch als Pflanzen im Baumarkt gekauft, im Jahr darauf dann aber mit der ersten eigenen Anzucht begonnen. Da waren dann Sorten wie Black Cherry, Dattelwein oder Rosa Ochsenherz dabei, auch schon stattliche 26 Sorten.

Tomatenfluesterer SortenarchivML24: Egal ob Cherry-, Cocktail-, San Marzano oder große Fleischtomaten mit klingenden Namen wie Feuerwerk, Big Rainbow oder Honigsüßer Erlöser, du kennst eine jede und hast sie alle. Woher kommt dieses Interesse / diese Leidenschaft für die kleinen runden Gemüsefrüchte?

Thomas: Wie viele Menschen war ich enttäuscht, dass es nirgends mehr geschmackvolle Tomaten zu kaufen gibt. Durch das Internet habe ich dann die enorme Formen-, Farben- und Sortenvielfalt der Tomaten kennen gelernt und den Entschluss gefasst, auch mal selbst den Anbau zu probieren.

ML24: Für das Pflanzen der leckersten, besten und geschmackvollsten Tomate gibt es tausende von Theorien. Was sind deine Erfahrungen und welche Mythen kannst du als definitiven Humbug bestätigen?

Thomas: Der größte Mythos bei Tomaten ist, dass sie viel Wasser benötigen, die Frucht besteht ja zum Großteil daraus. Das stimmt aber überhaupt nicht. Meine Freilandtomaten werden den ganzen Sommer nicht gegossen und produzieren die besten Früchte. Die Pflanzen können nämlich sehr tief wurzeln und holen sich so ihr benötigtes Wasser. Gegen die Austrocknung der obersten Bodenschichten hilft eine Abdeckung mit Mulchmaterial wie Stroh oder Heu.

tomatenfluesterer scharfe ChilisML24: Deine Obst- u. Gemüseliebe geht aber über die Tomaten hinaus - und findet sich u.a. im „Hot & Spicy“-Bereich der Chilischoten wieder. Was hast du schärfetechnisch so auf Lager?

Thomas: Auch hier habe ich schon eine kleine Sammlung aufgebaut, momentan sind es 150 Sorten Chilis und Paprikas, von denen heuer auch 90 in meinem Garten wachsen. Die Schärfeskala reicht von den süßen Gemüsepaprika bis zu den unmenschlich scharfen Trinidad Skorpion Chilis mit 1 Million Scoville, und natürlich alles dazwischen.

ML24: Bei dieser wahnsinnigen Menge an Köstlichkeiten könnte man ja beinahe an überirdische Kräfte denken :) Du vermutest einen geschichtlichen Hintergrund zu deinem Grundstück. Möglicherweise wurde schon früher dieser Platz zum Gemüse- und Obstanbau verwendet.

Thomas: Direkt unterhalb der Kirche habe ich ja meinen Terrassengarten angelegt. Die Terrassen waren schon als solche im Hang erkennbar. Deshalb vermute ich, dass die Mönche im Mittelalter schon den Hilfberg zur Gemüse- und Obstproduktion genutzt haben und dort Terrassen angelegt haben. Vielleicht haben sie sogar Wein angebaut.

ML24: Auf deinem Grundstück hast du mittlerweile auch über 100 Sorten Obstbäume, davon 75 Sorten Apfelbäume gepflanzt - was ist das Besondere an diesen Apfelbäumen?

tomatenflusterer apfelcollage

Thomas: Das sind alles Sorten, die schon vor mindestens 100 Jahren kultiviert wurden, manche gibt es seit dem Mittelalter und eine Sorte, den Sternapi, habe ich dabei, die schon zur Zeit der Römer gegessen wurde. Es schmeckt auch jede Sorte anders und hat andere Eigenschaften, so sind manche perfekt für Apfelkuchen, eine andere ideal für Saft. Ich habe auch sogenannte Lageräpfel gepflanzt. Die zeichnen sich durch eine lange Haltbarkeit aus und können unter guten Bedingungen über ein Jahr lang gelagert werden. Das war früher für die Versorgung der Menschen wichtig.

ML24: Unfassbare Mengen, die du da pflegst, hegst, gießt und umsorgst. Was machst du mit den geernteten Produkten - diese Masse wirst du doch unmöglich alleine verspeisen können?

Thomas: Das Gemüse wird zum Teil frisch gegessen und ganz viel davon eingekocht, damit wir auch im Rest des Jahres Gutes aus dem Garten genießen können. Die Bäume sind noch sehr jung und produzieren noch nicht sehr viel, aber das wird jetzt von Jahr zu Jahr mehr werden. Wenn die Saison heuer gut läuft, wollen wir uns vielleicht mal auf den Wochenmarkt stellen und einen Teil verkaufen.

ML24: Was machst Du eigentlich beruflich? Diese Liebe zum Gartenbau kommt ja wahrscheinlich nicht von irgendwo her?

Thomas: Ich habe auf der BOKU Wien Landschaftsplanung und Landschaftspflege studiert. Dadurch wurde schon die Liebe zur Natur und zum Garten geweckt. Ich bin nun selbständig als Sachverständiger für Bäume tätig. Da kontrolliere ich Baumbestände etwa von Gemeinden, erstelle Baumkataster oder schreibe Gutachten.

ML24: Vielen Dank für diesen variantenreichen und spannenden Einblick in deine Gemüsezucht. Wir wünschen dir ein erntereiches Jahr :)

Veröffentlicht am 27.05.2019