Ein Schicksal, zwei unterschiedliche Perspektiven

Ein Schicksal, zwei unterschiedliche Perspektiven

Larissa stammt aus der ostukrainischen 700.000 Einwohner-Stadt Saporischschja, die etwa 70 km südlich von Dnipro liegt. Der russische Überfall traf sie, als sie eigentlich ein geordnetes Leben führte. Mit Freund, Kindern eigener Wohnung. Sie selbst war Restaurantmanagerin. Dann kam er Krieg.

Überraschend, wie für viele. Putins Bombern fielen. Dann musste alles ganz schnell gehen. Soll heißen: Sie hatten zehn Minuten, um eine Tasche zu packen. Mehr durfte nicht mit. Mit dem übervollen Zug kamen sie und Kinder bis Polen, dann irgendwie nach Wien und wieder irgendwie nach Mondsee. Sie wisse nicht mehr, in welchen Städten sie geschlafen hatten, sagt Larissa. Einmal in einer Schule, weiß sie noch. Es dürfte jedenfalls eine Irrfahrt gewesen sein. Odyssee oder so ähnlich.

Jetzt lernt sie fleißig Deutsch, denn ihre Englischkenntnisse sind gut, ermöglichen aber nur den ersten Schritt. Wenn sie Deutsch kann, will sie eine Arbeit finden in der Gastronomie. Als Managerin wird es sicher nicht (gleich) gehen, vielleicht aber als Küchenhilfe. Eines ist jedenfalls klar: Ihre Zukunft liegt nicht in Österreich, sie will wieder zurück so rasch als möglich. Ob das möglich sein wird? Niemand weiß das. Doch sie hat ihre Familie, ihre Freunde und ihre Wohnung in Saporischschja.

Irina will bleiben
Anders ist die Situation bei Irina. Sie lebte in Dnipro, als die ersten Bomben fielen. Sie hat zwei Kinder mit 9 und 11 Jahren. Ist geschieden von ihrem Mann. Der Sohn bettelte: Bitte weg von hier. Irina lebte in verschiedenen Städten, keine war sicher von Putins Schergen. Jetzt sind sie in Mondsee und wollen nicht mehr zurück.

Sie arbeite schon jetzt in einem Restaurant und wolle die deutsche Sprache so schnell wie möglich erlernen. Zurück gehen sie nicht mehr. Wer könnte es ihnen verdenken? „Ich möchte mich für die Gastfreundschaft in Österreich bedanken“, sagt sie in gepflegtem Englisch. Die Kinder gehen in eine der Mondseer Mittelschulen. Auch sie hat auf der Flucht per Zug unglaublichen Stress erlebt, jetzt gehe es ihr besser. Österreich habe eine große Kultur, sagt die junge Frau, die an der psychologisch-pädagogischen Fakultät studiert hat. Sie war mit ihren Kindern schon in Salzburg, hat gegessen und einen Spaziergang gemacht. In die Ukraine will sie nicht mehr zurück.

Norbert Blaichinger

Veröffentlicht am 17.05.2022